#einevonacht

Die erste Lymphdrainage

„Also ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich mit Ihnen anfangen soll.“ Sagt sie. Meine Lymph-Frau. Beugt sich über mich, richtet sich wieder auf, Hände in die Seiten, beugt sich wieder über mich, das gleiche Spiel.

Ich liege da. Oben ohne. Das erste Mal ohne Klamotten bei einer bis dato fremden Person in einer bis dato fremden Praxis. Knapp 2 Wochen nach der OP. Knapp 2 Wochen, nachdem mir die Brüste abgeschnitten wurden. Rote Narben, alles noch etwas geschwollen.

Reflexhaft möchte ich mich entschuldigen, überlege, ob ich vielleicht doch zu früh da bin, ob ich was falsch gemacht habe. Versuche, diesen Satz einzuordnen.

„Normalerweise ist nur eine Seite operiert“, fährt sie fort. Ich liege da und gucke sie an. Verstehe, dass sie ein Problem hat, weiß aber auch bei diesem zweiten Satz nicht genau, was das Problem ist und wie ich ihr helfen kann.

Ich bekomme das Gefühl, dafür verantwortlich zu sein, dass irgendwas nicht geht. Dass sie ihren Job nicht machen kann. Ich fühle mich fehl am Platz. Wie ein Sonderfall, der die professionelle Lymphfachfrau an den Rand gedrängt hat.

Aber ich sage nichts. Ich gucke sie nur an. Und warte darauf, dass sie was sagt. Oder macht.

Normalerweise bin ich schnell und absolute Expertin darin, seltsame Situationen aufzulösen. Fragen stellen, herausfinden, was genau sie meint, was genau das Problem ist, eine Lösung suchen. So, dass alle sich gut fühlen.

Aber hier war ich sprachlos. Ich mit meinem neuen Körper. Der nun das erste Mal dafür gesorgt hat, dass jemand mich ratlos anstarrt.

Ich habe sie nur angeguckt und gewartet.

Ich wollte nicht dafür zuständig sein, das Problem (welches auch immer) zu lösen oder die Therapeutin zu beruhigen. Ihr zu sagen, dass ich verstehe, dass das vielleicht alles neu für sie sein mag (sie war übrigens 60+), aber dass sie das bestimmt super hinbekommen wird. Ich habe außer Höflichkeitsfloskeln nichts gesagt. Ich wollte die Situation nicht steuern, ich wollte nicht handeln, ich wollte behandelt werden. Und habe darauf gewartet, dass sie die Kurve kriegt und mir nicht mehr nur erzählt, wie schwierig alles ist, sondern dass sie die Ärmel hochkrempelt und loslegt. Dass sie mir hilft. Dass ich mich gut aufgehoben fühle.

Irgendwann hat sie angefangen, mich und meine Lymphe zu bearbeiten. Ich glaube auch, dass es geholfen hat. Aber ich bin bis zum Ende mehr als widerwillig zu den Terminen gegangen. Dabei war sie wirklich nett – nur einfach komplett überfordert. Sie hat mir bei jedem Termin aufs Neue erklärt, wie ungewöhnlich das alles ist („ach, nee, das geht bei Ihnen ja gar nicht…“, „normalerweise würde ich jetzt…“). Und ich habe bis zum letzten Termin nichts gesagt.

Heute kann ich darüber lachen, aber damals war das alles befremdlich. Fremd und neu. Ich wusste nicht, was normal ist und was nicht, was tatsächlich eine Herausforderung ist und was keine sein sollte. Ich wusste nur, dass ich keine Lust hatte, irgendwas zu diskutieren. Augen zu und durch.

Heute würde ich das anders machen. Heute bin ich ausgeruht und würde mich so verhalten, wie ich mich sonst auch verhalte: reden oder handeln. Nicht schweigen. Heute würde ich mir selbst und allen anderen #einevonacht-Frauen gern das hier mit auf den Weg geben:

  • Wenn’s sich schräg anfühlt, sprich darüber oder ziehe Konsequenzen. Für Dich.
  • Sag was und gib ihr die Chance, ihr Verhalten zu ändern. Pack das Thema auf den Tisch. Spiegel ihr, wie Du das wahrnimmst, was sie da sagt, wie es für Dich ist, wenn sie da so steht und auf Deinen Körper guckt. Frag sie, ob sie Dich trotzdem behandeln möchte, auch wenn das, was sie normalerweise macht, vielleicht nicht geht. Behaupte Dich.
  • Und wenn Du das Gefühl hast, dass da eh nichts mehr zu retten ist: Steh auf, bedank Dich für den Termin, zahl ihn im Zweifelsfall privat und geh raus. Zieh weiter, bis Du Dich gut aufgehoben fühlst. Such den Fehler hier nicht bei Dir. Suche jemanden, der weiß, wie Frauen nach einer beidseitigen Mastektomie zu behandeln sind. Physisch und psychisch und menschlich.

Bei meiner jetzigen Physiotherapeutin (und Lymph-Expertin) gab es übrigens weder einen irritierten Blick noch irritierende Aussagen. Und meiner ersten Lymph-Frau wünsche ich, dass sie bei der nächsten beidseitig mastektomierten Frau schneller handeln kann und nicht so verzweifeln muss. Dass sie sagt: „Kein Problem, hatte ich schonmal!“

 

An alle, die auch #einevonacht sind: Kennt Ihr solche Situationen? Was würdet Ihr anderen für diese Momente mit auf den Weg geben?

Wenn Ihr Lust habt, schickt mir gern eine Mail oder meldet Euch via Instagram oder LinkedIn.

EINE VON ACHT ist ein Buch von Martina Racz, ein Film von Sabine Derflinger, ein Hashtag - und ein Projekt von Rebecka Heinz