#einevonacht
Kinder.
Ich nehme Euch mal mit auf die Metaebene.
Der Text zu diesem Thema war gefühlt innerhalb einer Stunde geschrieben. Eigentlich hatte ich etwas anderes für den nächsten Blogbeitrag geplant. Etwas leichtes sollte her, etwas, was nach dem schweren Text über das Gesamtüberleben etwas Schwung reinbringt. Donnerstags ist Veröffentlichungs-Tag. Aber beim Joggen gestern Morgen kam auf einmal dieses Thema in meinen Kopf. Und ist nicht mehr weggegangen. Also habe ich mich im Büro direkt hingesetzt, den eigentlich geplanten Text beiseite geschoben und den neuen Text runtergeschrieben. Am Stück.
Ich dachte, dass ich nach meinem Termin nur noch eben einmal drübergehen müsste, einmal gucken, ob ich wirklich alles so veröffentlichen möchte.
Und dann ging’s los. Ein ewiges Korrigieren, Umschreiben, Umstellen, Basteln.
Ich hatte kein gutes Gefühl mehr. Der Text ist nicht rund, dachte ich.
Ich habe weiter gearbeitet, andere Sachen gemacht, meine Tochter abgeholt, sie ins Bett gebracht – und mich dann wieder ran gesetzt.
Aber es ging immer noch nicht.
Irgendwann habe ich verstanden, warum.
Es war das Thema. Ein heikles Thema. Kinder. Das Privateste vom Privaten.
Kinder. Besser gesagt: Kinderwunsch. Familienplanung. Ein Thema, über das wir normalerweise nicht sprechen. Es hängt viel da dran. Emotionen, Lebenskonzepte, Wünsche. Erwartungen, von sich, von anderen. Hoffnungen. Identität.
Es ist eins der Themen, von denen man überrollt wird, wenn man “jung” die Diagnose Brustkrebs bekommt. Und es beschäftigt viele Frauen, mit denen ich bisher gesprochen habe. Also müssen wir darüber reden.
Kinder. Familienplanung.
Ich sehe mich da sitzen, als das Thema kommt. Ich, auf einem der beiden Stühle vor diesem riesigen Schreibtisch im Besprechungszimmer. Es ist der erste Tag im Brustzentrum. Dienstag, 19.10.2021, irgendwann zwischen 9:00 und 11:00 Uhr. Gerade habe ich meine neue Ärztin kennengelernt.
Ich sitze da, angespannt, hoch konzentriert, und höre zu. Sauge alles auf. Versuche, einzuordnen, was sie sagt. Versuche, zu verstehen, worum es geht und warum welche Info aus welchem Grund für mich relevant ist. Versuche, Zusammenhänge zu erkennen. Mein Hirn rattert auf Hochtouren.
Ich sitze da, mit Zettel & Stift – und freue mich, dass ich schnell schreiben und trotzdem zuhören kann. Ich tauche ein in den Brustkrebskosmos. Lasse mich führen. Lerne.
Zwei Stunden sprechen wir.
Vieles klingt logisch. Einiges klingt nach typischem Erstgespräch und Formalitäten. Aber zwischendurch kommen Fragen, die mich irritieren, die mich aus meinem Abnick-Mitschreib-Fluss reißen, weil ich denke: Was hat denn das mit der Brustkrebsbehandlung zu tun?
So wie die Frage nach dem Kinderwunsch.
„Möchten Sie noch Kinder haben?“
Ähm. Warum?? Ich gucke sie an und sage glaube ich wirklich nur etwas wie „ähm“. Es rattert. Ich verstehe nicht, was die Frage hier soll. In diesem Gespräch. Ich suche im Kopf nach Verbindungen, versuche, mit der Frage etwas anzufangen. Warum will sie das jetzt wissen? Soll ich jetzt wirklich antworten?
„Naja, wenn Sie noch Kinder haben möchten, müsste ich Sie ins Kinderwunschzentrum überweisen.“
What?? Warum das denn?
Ich höre was von „Eizellen sicherheitshalber einfrieren lassen“ und von „Chemo verschieben bis nach Ende der Hormonbehandlung und Eizellenentnahme“.
Ich höre das alles, aber es macht für mich nicht wirklich Sinn. Ich weiß nicht, warum ich ein Kinderwunschzentrum brauchen sollte. Ich verstehe zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was das alles genau heißt, welche Tragweite diese Diagnose hat. Ich ahne noch nicht, was es mit diesem Tumor wirklich auf sich hat, welche Lawine an Themen da noch kommt.
Und ich bin auch noch nicht in der Lage, konkrete Frage zu stellen. Mir fehlt der Überblick.
Ich verstehe in diesem Moment nur, dass ich ja oder nein zum Kinderwunschzentrum sagen muss, da wir erst danach mit der Chemo anfangen können.
Easy. “Ich brauche keine Absicherung für alle Fälle”, sage ich meiner Ärztin. Ich möchte direkt mit der Behandlung loslegen. Und ja, natürlich werde ich das noch mit meinem Mann besprechen.
Tatsächlich bespreche ich mit meinem Mann an diesem Abend etwas ganz anderes. Denn der 19.10. ist nicht nur der Tag, an dem ich entscheiden soll, ob ich irgendwelche Eizellen einfrieren lasse. Es ist auch der Tag, an dem abends auf dem Sofa meine ganze Welt zusammenbricht. Es ist der Tag, an dem ich begreife, was es mit dem Streuen und dem Staging auf sich hat. Dass „Streuen“ und „Staging“ für die Dimension „heilbar“ oder „nicht mehr heilbar“ stehen.
Mit diesem neuen Wissen ist die Frage nach dem Kinderwunschzentrum für mich noch verrückter. Ich weiß nicht, ob ich noch heilbar bin und soll jetzt entscheiden, ob ich – für den Fall, dass ich noch heilbar bin – irgendwann noch ein Kind bekommen möchte?
Vollkommen schräg.
Erstaunlich ruhig und klar gehe ich am nächsten Morgen wieder ins Brustzentrum. „Es bleibt dabei“, erkläre ich, „ich möchte nicht ins Kinderwunschzentrum. Wenn das hier alles gut geht und wenn wir dann in ein paar Jahren denken, dass wir gern ein zweites Kind hätten, dann lassen wir es drauf ankommen.“
So. Nun ist es raus. Nun habe ich öffentlich über meine Familienplanung geschrieben. Über das Privateste vom Privaten.
Warum ist das so ein Thema für mich? Warum fühlt es sich befremdlich an, darüber zu schreiben, wo ich doch weiß, dass es so viele Frauen beschäftigt?
Warum reden wir nicht darüber?
Gespräche über Kinderwünsche sind irgendwie tabu. Wir sprechen – zumindest nehme ich das so wahr – nicht über unsere Familienplanung.
Familienplanung ist geheim. Geht keinen was an. Irgendwann sind wir schwanger und nach den ersten Monaten sagen wir: „Überraschung, ich bin schwanger!!“ Liegt es daran, dass so viel passieren kann? Dass es mit Sex zu tun hat? Dass alles andere als klar ist, dass das auch funktioniert? Oder warum ist das so?
Familienplanung ist privat. Aber wenn wir darüber sprechen wollen, was Frauen bei der Diagnose Brustkrebs erlebt haben, wenn wir unsere Erfahrungen teilen wollen, damit andere Frauen es vielleicht etwas leichter haben und nicht so überrascht werden, wenn sie zum ersten Mal mit diesem Themenkomplex konfrontiert werden, dann müssen wir darüber sprechen. Dann müssen wir das Thema auf den Tisch packen.
Zurück zum Besprechungszimmer.
Meine Ärztin guckt mich an, als ich ihr meine Entscheidung (und die Begründung) sage. Ruhig, ernst, aber irgendwie mit ganz viel Mitgefühl. Und dann kam die nächste Info, die ich bis dahin nicht auf dem Schirm hatte. Das nächste große Thema. Dass es nach der Chemo kein „drauf ankommen lassen“ mehr geben werde, dass ich nach der Chemo durch die Anschlusstherapie in die Wechseljahre kommen werde.
Wechseljahre. Feierabend. WTF.
Mit 38.
„Andere kommen auch früh in die Wechseljahre“, sagt später jemand zu mir.
„Ich soll dir von XY sagen, dass er einen Freund hat, dessen Freundin auch Brustkrebs hatte, und die hat danach auch noch Kinder bekommen.“
„Du hast eine Tochter.“
Diese Sätze sollen Mut machen, glaube ich. Tun sie aber nicht. Sie nerven mich eher, und zwar bis zum Anschlag. Je nachdem, von wem sie kommen, empfinde ich sie sogar als übergriffig. Sie haben nichts mit meiner Realität zu tun. Sie knüpfen nicht da an, wo ich gerade stehe.
Ja, es gibt Frauen, die nach Brustkrebs Kinder bekommen. Ob das geht oder nicht hängt u.a. davon ab, was für einen Tumor sie hatten. Für mich ist das keine Option. Mein Tumor ist durch die Schwangerschaft entstanden. Eine erneute Schwangerschaft steht für mich damit nicht zur Debatte. Weil ich meinen Körper nicht noch einmal diesen hormonellen Schwankungen aussetzen würde. Mal davon abgesehen, dass ich nach Ende der Anschlussbehandlung, der Antihormontherapie, kurz vor 50 wäre.
Ja, es stimmt, ich habe eine Tochter. Aber es geht hier um etwas anderes. „Die Freude über das erste Kind ersetzt nicht die Trauer um das zweite, auch wenn es noch eine Idee war.“ So hat meine Psychoonkologin es mir erklärt. „Sie müssen Trauerarbeit machen. Sie müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass Sie ein weiteres Kind haben könnten.“
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„Vorstellung im Kinderwunschzentrum nicht erwünscht bei abgeschlossener Familienplanung.“
So wird es in meinem Befund stehen, mit dem ich an diesem zweiten Tag im Brustzentrum das Besprechungszimmer verlassen werden. Damit es weitergehen kann. Damit die Chemo losgehen kann. Das war’s mit Kindern. Familienplanung abgeschlossen.
Ich beobachte meine Ärztin, während sie meinen Befund tippt.
Und werde ruhig. Es sind diese kleinen Momente, die in Erinnerung bleiben. Das hier ist der Moment, in dem ich verstehe, dass ich mein Leben ab sofort nicht mehr selbst so gestalten kann, wie ich es gern hätte. Die Weichen sind – in der Kinderwunschfrage – gestellt.
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Kinder. Ein großes Thema. Ganze Lebenskonzepte hängen da dran. Nicht nur für Frauen mit Brustkrebs.
Es gibt viele Gründe, warum Frauen keine Kinder/ein Kind/zwei Kinder/viele Kinder haben.
Es gibt Frauen, die keine Kinder haben möchten. Es gibt Frauen, die ein Kind haben und kein zweites Kind bekommen konnten. Es gibt Frauen, die gerne Kinder haben wollten, aber bei denen es nicht funktioniert hat. Es gibt Frauen, die gern Kinder gehabt hätten, aber die keine/n Partner/Partnerin haben, und die für sich die Entscheidung getroffen haben, dann kein Kind zu bekommen. Es gibt Frauen, die keine/n Partner/in haben und sich fürs Kinderwunschzentrum entschieden haben. Die jetzt Solo-Mom sind. Es gibt Frauen, die ein Kind verloren haben.
Und es gibt Frauen, die dachten, sie würden in ein paar Jahren ein Kind bekommen – und deren Plan durch die Diagnose Brustkrebs kaputt gemacht wurde.
Kinder oder keine Kinder – das ist sehr individuell. Die Frage ist, ob es gewollt oder ungewollt so ist, wie es ist.
Und wenn es ungewollt so ist, ist das oftmals ein Thema, mit dem man sich beschäftigen muss.
Bei mir war es ungewollt. Und ich hätte nie gedacht, dass ich darüber mal etwas schreiben würde. Aber wenn wir nicht darüber sprechen, hilft es niemandem.
Wenn ich anderen Frauen etwas mit auf den Weg geben könnte, wäre es das hier:
- Guckt Euch gut an, was diese ganzen Themen, die mit der Diagnose Brustkrebs auf Euch einprasseln, mit Euch machen.
- Findet heraus, was Euer Weg ist. Was für Euch richtig ist. Für mich war das Kinderwunschzentrum keine Option, für andere ist es die beste Option.
- Hört nicht auf andere. Hört auf Euch. Hört auf Euer Bauchgefühl.
- Emotionen sind gewaltig. Nehmt das ernst. Und wenn Ihr Euch rational gegen etwas entscheidet und später merkt, dass es Euch noch beschäftigt, Euch traurig macht, Euch runterzieht, dann sprecht darüber. Verarbeitet es. Holt Euch Hilfe. Man darf ruhig traurig sein, wenn das eigene Lebenskonzept, das Bild, was man von seinem Leben hatte, von heute auf morgen zertrümmert wird. Da braucht es Zeit, bis etwas Neues entstehen kann.
Und allen anderen würde ich gern das hier mit auf den Weg geben:
- Hört auf, zu beschwichtigen. Auch wenn es nett gemeint ist.
- Bleibt bei den Frauen. Stellt Fragen, statt zu kommentieren.
Und mir selbst wünsche ich, dass ich nicht innerlich den Wunsch verspüre, anderen zu erklären, warum ich (für mich in Anführungszeichen) „nur“ (und betont kursiv) ein Kind habe. Ich habe ein Kind. Punkt. Und mein Leben mit meinem Kind ist mein Leben. Nicht defizitär. Nicht anormal. Ich heiße Rebecka und ich habe eine Tochter.
EINE VON ACHT ist ein Buch von Martina Racz, ein Film von Sabine Derflinger - und als #einevonacht ein Projekt von Rebecka Heinz