#einevonacht

Gynäkologische Onkologie.

Ich hatte keine Ahnung, was mich hinter dieser Tür erwarten würde. Praxis für Gynäkologische Onkologie. Direkt neben dem Brustzentrum.

Mit großen Schritten marschiere ich den Flur entlang, wappne mich innerlich für was auch immer da kommen mag. Ich war in den letzten Tagen schon oft an dieser Tür vorbeigegangen, auf dem Weg zum Besprechungszimmer. Immer war sie zu. Auf den Stühlen davor saßen manchmal Frauen, meist in Begleitung, meistens ziemlich ruhig. Mitfühlende Blicke, von allen für alle. Als ob wir alle im selben Boot sitzen würden. Nur hatte ich keine Ahnung, was für ein Boot das sein würde.

„Aufklärungsgespräch“ steht in meinem Kalender.

Aufklärungsgespräch für die Chemotherapie. 

„Sie können für die Chemotherapie in die Praxis nebenan gehen, wenn Sie möchten. Sie können aber auch irgendwo anders hin gehen“, hatte meine Ärztin gesagt.

Stand für mich nicht zur Debatte. Genauso wenig, wie ich mich in meinem Leben davor mit Brustzentren beschäftigt hatte, hatte ich mich mit Praxen für gynäkologische Onkologie beschäftigt. Ich wusste nicht einmal, dass es sie gibt.

Und auf irgendwelche Recherchen hatte ich in dem Moment überhaupt keine Lust. Denn dann hätte ich erst einmal Bewertungskriterien festlegen müssen, um das Thema richtig analysieren zu können. Ich hätte lesen, googeln, recherchieren müssen. Wollte ich nicht. Ich wollte loslegen und das Ding wegmachen.

Also in die Praxis nebenan.

Praxis für Gynäkologische Onkologie. Das Tor zu einer anderen Welt. Der Ort, an dem die Chemo verabreicht wird. Und wo es so zugeht, wie ich es noch nie in irgendeiner anderen Arztpraxis erlebt habe.

Stille hätte ich vermutet. Stille, Depri-Stimmung, Tränen, Medizin. Befremdliches Jonglieren mit Befindlichkeiten, Unsicherheiten, Ängsten. Alle höflich und zurückhaltend, alle gucken auf den Boden und niemand guckt irgendwen an oder sagt ein Wort. So, wie in anderen Wartezimmern. Nur viel schlimmer.

Und ich hätte nicht mehr daneben liegen können mit meiner Vermutung.

So sehr, dass mein Mann später zu mir sagen wird: „Das war ja wie in einer Bar da drinnen!“

Laut ist es. Wuselig. Herzlich. Persönlich.

 „Ach Mensch, Frau XX, wie schön, dass Sie da sind!“ „Na Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass…“ „Ehrlich???“ „Gib doch Frau XY mal bitte…“

Das Team der Chemo-Praxis. Das Herzstück der Therapie. Wirbelnde Frauen, strahlende Frauen, starke Frauen.

Sie lachen. Reden. Und geben den Frauen, die in diesem Moment Patientinnen sind, nicht das Gefühl, am Abgrund zu stehen, ein hoffnungsloser Fall zu sein, krank zu sein. Sie geben den Frauen das Gefühl: Jetzt biste hier und jetzt legen wir gemeinsam los. Sie geben den Frauen das Gefühl, normal zu sein. Ganz zu sein. Kein Opfer-Gefühl, keine Samthandschuhe, keine bemitleidenden Blicke.

Hinsetzen. Fertig. Los geht’s mit der Ladung.

Ich habe von anderen Frauen, mit denen ich gesprochen habe, gehört, dass sie das ähnlich wahrgenommen haben. Bei anderen war der Ort so furchtbar, dass sie sich die ganze Chemo-Zeit über nicht wohl gefühlt haben – und teilweise wurden die Infusionen wegen Überfüllung auf dem Flur verabreicht.

Wenn ich anderen Frauen etwas mit auf den Weg geben könnte, wäre es das hier:

  • Guckt Euch an, ob es Euch dort, wo Ihr die Chemo bekommen sollt, gefällt. Ihr werdet vermutlich viel Zeit dort verbringen und in allen möglichen (Gemüts-)Zuständen und vielleicht mit allen möglichen Fragen zu Nebenwirkungen und dergleichen dorthin gehen. Da ist es wichtig, dass Ihr Euch gut aufgehoben und wohl fühlt.
  • Wenn das nicht der Fall sein sollte und wenn Ihr die Möglichkeit habt und wenn Ihr psychisch/körperlich/mental/emotional in der Lage dazu solltet, geht irgendwo anders hin. Lasst jemanden für Euch recherchieren, wenn Ihr selbst nicht recherchieren mögt. Findet Euren Ort.
  • Ich bin bis heute Stammgast (Stammgästin) in meiner Chemo-Praxis. Alle 2 Wochen stehe ich da gefühlt auf der Matte, um mir entweder die Antikörper-Spritze oder die Antihormon-Spritze geben zu lassen. Die eine drei Jahre lang. Und jedes Mal wieder freue ich mich, dass ich eine Onkologin habe, die nicht nur im Krankenhaus ist sondern eine zweite Praxis bei mir um die Ecke hat. Sodass die Fahrt dorthin kein Akt ist und ich mir die Spritzen quasi auf dem Weg abholen kann. Vorm Einkaufen, mit meiner Tochter, zu Fuß.

Mir selbst wünsche ich, dass ich nie wieder eine Chemo machen muss. Dass ich nicht noch einmal in die Situation komme, dass so eine Chemo mir mein Leben retten muss.

Und uns allen wünsche ich mehr Praxen, in denen es so munter zugeht wie in einer onkologischen Praxis. Mit den besten Grüßen und Dank an das Team vom Frauenarzt-Zentrum Zehlendorf und an die Kolleginnen im Sankt Gertrauden-Krankenhaus, die mich bei meinem ersten Chemo-Gespräch so gut aufgefangen und mir die ganze Staging-Termin-Orga abgenommen haben.

An alle, die auch #einevonacht sind: Was habt Ihr in Eurer Chemo-Praxis erlebt? Wie war es da? Habt Ihr Euch gut aufgehoben gefühlt? Wenn Ihr Lust habt, schickt mir gern eine Mail oder meldet Euch via Instagram oder LinkedIn.

EINE VON ACHT ist ein Buch von Martina Racz, ein Film von Sabine Derflinger, ein Hashtag - und ein Projekt von Rebecka Heinz