Heute sehne ich mich nach dem Leben der anderen – nach der Unbeschwertheit der anderen – nach dem Urlaub der anderen – nach der Gesundheit der anderen.

Dieser Satz von @marenammeer triggert mich. Weil es Tage gibt, an denen ich jeden einzelnen Punkt mehrmals dick und fett unterstreichen würde.

Egal, wie sehr wir wissen, dass wir uns nicht vergleichen sollen, dass alle ihr Päckchen zu tragen haben, dass im Leben der anderen auch nicht alles glitzernd und prickelnd ist und bei allen viele dunkle Ecken lauern, viele Hürden, Herausforderungen, „Schicksalsschläge“ – es gibt Tage, an denen einfach alles richtig ätzend ist. An denen alles schwer ist. Wenn man kaputt und müde und leer ist. An denen alles zu anstrengend, unfair und frustrierend erscheint. An denen man sich selbst leidtut. An denen man denkt: Ich habe echt keinen Bock mehr.

„Solche Tage haben andere auch“, höre ich jetzt Leute sagen. Stimmt, aber mit einer anderen Dimension. 

Egal, wie sehr wir wissen, dass wir vielleicht schon morgen wieder anders drauf sein werden, dass wir vielleicht schon morgen wieder auf Spur sein werden, stark und entschlossen und fröhlich und unbeirrbar – es gibt Tage, an denen alles zu groß und zu mächtig erscheint. An denen uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird. An denen wir denken: Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Kann ich bitte mein Leben von vorher zurückhaben?

Egal, wir sehr das alles wissen – trotz aller Rationalität stecken wir manchmal gefühlt emotional in einem riesigen Sumpf. Voll Trauer. Wut. Frust. Traurigkeit.

Es gibt Tage, an denen ich mir nichts sehnlicher als die Leichtigkeit von vorher wünsche. Als ich noch nicht Bekanntschaft mit dem Rand gemacht hatte. Ich weiß, dass viele sagen, dass diese Krankheit ihnen so viel beigebracht hat, dass sie ihr Leben komplett verändert haben, dass diese Krankheit ihr Leben so viel besser gemacht hat. Ich fand mein Leben vorher auch ziemlich gut. Jetzt habe ich immer diese graue Wolke hinter mir, von der ich nicht weiß, ob sie mich noch einmal einholen wird oder nicht.

Manchmal gehe ich durch die Straßen, sitze in Runden, höre anderen Leuten zu und denke für Bruchteile einer Sekunde: wie simpel, wie banal, wie privilegiert. Wie herrlich unwissend, wie leicht, wie schön.

Dieses einfache Leben zu leben, diese Unbeschwertheit wieder zu bekommen, diese Unbekümmertheit, dieses Urvertrauen  das ist manchmal nicht so leicht. Vielleicht braucht es Zeit. Viel Zeit. Zeit und Arbeit. Auseinandersetzung. Verarbeitung.

Und vielleicht gibt es trotz allem immer wieder Tage, die so sind, wie @marenammeer ihren Schlechte-Laune-Tag beschreibt. 

Und you know what? Ich finde, darüber, dass man eine Krankheit hat (oder hatte), die potenziell das eigene Leben bedroht, darf man ruhig mal so richtig traurig sein. Traurig und wütend und mies gelaunt. Da darf man sich auch mal selbst leidtun. Da darf man mal nicht positiv und happy-Sunshine-mäßig drauf sein. Da darf mal alles ätzend sein.

Wir müssen uns dieser Emotionen nur bewusst werden. Wir müssen sie entdecken, kennenlernen, verstehen. Wir müssen ihnen Raum geben. Wir müssen ihnen erlauben, da zu sein. Wir müssen ihnen zuhören. Statt sie einzudampfen, sie zu relativieren, müssen wir sie als Wasserstandsmeldung, als Bestandsaufnahme, als Spiegel sehen. Und auch wenn sie im Alltag, wenn wir (wieder) funktionieren (müssen), wenn wir abgelenkt sind, wenn wir uns nicht mit ihnen beschäftigen (können), in den Hintergrund rücken – sie sind in uns, irgendwo versteckt. 

Lasst uns die emotionalen Sümpfe entdecken! Und die darin verborgenen Schätze finden. Sie sagen uns etwas. Sie geben uns Hinweise. Und sie müssen ernst genommen werden, sonst blockieren sie uns vielleicht, prägen unsere Gedanken und Handlungen.  

Es gibt keinen pauschalen Weg für die Arbeit mit Emotionen, für die Verarbeitung von Emotionen, der für alle und für jede Situation passt. Aber es gibt viele Techniken, Meditationen und Tools, die dabei helfen, Emotionen zu entdecken, zu verstehen, sie anzuerkennen, sie zu transformieren.

Die Frage ist: Was ist für Dich richtig? Was ist Dein Weg? Wie gehst Du mit Deinen Emotionen um? Oder gibt es vielleicht etwas, was dagegen sprechen könnte, sich mit den Emotionen auseinanderzusetzen? Was denkst Du?

Wenn ich anderen Frauen etwas mit auf den Weg geben, könnte, wäre es das hier:

  • Lest die Posts von @marenammeer!
  • Mitgefühl mit sich selbst wird gern als „sich selbst bemitleiden“ abgetan. Dabei ist es essenziell, dass wir uns um uns selbst genauso kümmern, wie wir uns um andere kümmern würden.
  • Wenn Ihr ätzende Tage habt, beobachtet, welche Emotionen in Euch aufsteigen, welche ihr entdecken könnt, versucht, sie zu benennen.
  • Wenn Ihr denkt: Wie soll ich das denn machen?? Wenn Ihr das gern mit jemandem zusammen machen möchtet, holt Euch Unterstützung!

Und mir selbst wünsche ich – neben vielen erkenntnisreichen, hilfreichen, stärkenden emotionalen Entdeckungsreisen – möglichst viele Posts wie den von @marenammeer, so reflektiert und klug und offen und ehrlich. Mit Sätzen wie diesem hier:

„Und falls jemand denkt, ich komme jetzt doch mit der Dankbarkeitskeule um die Ecke, den/die muss ich enttäuschen – die habe ich heute zum Teufel gejagt.“

Danke, @marenammeer.

 

Heute habe ich keine Lust, alles in Relation zu setzen.
#einevonacht I Brustkrebs I Emotionen I Rebecka Heinz I marenammeer
#einevonacht I Brustkrebs I Rebecka Heinz

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